Zum Anspruch des Arbeitnehmers auf Herausgabe von Fahrtenschreiberdiagrammen zwecks Vorbereitung einer Klage

Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil vm 19.03.2008 – 6 Sa 1256/07

Nach Art. 14 Abs. 2 VO (EWG) 3821/85 hat das Unternehmen die Fahrtenschreiberdiagramme ein Jahr lang aufzubewahren und dem Fahrer auf Verlangen Kopien auszuhändigen. Diese Verordnung ist gem. Art. 249 EG-Vertrag unmittelbar zwingend geltendes Recht und gewährt damit dem Fahrer den entsprechenden Anspruch. Fahrtenschreibendiagramme dienen zwar in erster Linie der Aufzeichnung der Lenkzeit und der Kontrolle der Einhaltung der Lenkzeitvorschriften im Interesse der Harmonisierung der Bedingungen des Wettbewerbs zwischen Land- und Verkehrsunternehmen, insbesondere im Straßenverkehrssektor, sowie der Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der Sicherheit im Straßenverkehr (vgl. Verordnung (EWG) des Rates über die Harmonisierung bestimmter Sozialvorschriften im Straßenverkehr Nr. 3820/85). Es geht dabei aber auch um die Arbeitsbedingungen der betroffenen Arbeitnehmer (Rn. 9).

Tenor

Die Berufungen der Parteien gegen das Urteil des Arbeitsgerichtes Gießen vom 31. Mai 2007 – 1 Ca 99/07 – werden zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

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Der Kläger war auf der Grundlage eines schriftlichen Arbeitsvertrages vom 21. November 2005 (Bl. 19 d.A.) als Fahrer zu einem Bruttomonatsverdienst von € 2.200,00 brutto mit einer regelmäßigen Arbeitszeit von 40 Stunden die Woche bei der Beklagten beschäftigt.

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Mit Klageschriften vom 14. Dezember 2006 und 21. Dezember 2006 nimmt der Kläger die Beklagte auf Zahlung einer Überstundenvergütung von € 11.934,18 brutto für den Zeitraum vom 01. Mai 2005 bis 30. Juni 2006 und in Höhe von € 5.758,71 brutto für den Zeitraum vom 01. Juli 2006 bis 13. Oktober 2006 in Anspruch. Hilfsweise begehrte er die Erteilung eines Arbeitszeitkontoauszugs für den betreffenden Zeitraum sowie die Abrechnung der geleisteten Überstunden.

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Mit Klageschrift vom 23. April 2007 erweiterte der Kläger seine Klage und beantragte,

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die Beklagte durch Zwischenurteil zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 01. Dezember 2005 bis 15. Oktober 2006 Kopien der Fahrtenschreiberdiagramme auszuhändigen;
die Beklagte durch Zwischenurteil zu verurteilen, ihm für die von ihm in der Zeit vom 01. Dezember 2005 bis 15. Oktober 2006 in ihrem Auftrag ausgeführten Lieferungen Auskunft über die belieferten Firmen und Personen mit genauer Anschrift und Adresse zu erteilen, hilfsweise Kopien der Lieferscheine auszuhändigen.

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Über die mit Klageerweiterung vom 23. April 2007 geltend gemachten Ansprüche hat das Arbeitsgericht Gießen mit dem angegriffenen Urteil vom 31. Mai 2007 durch Zwischenurteil entschieden. Das Arbeitsgericht hat die Beklagte danach verurteilt, an den Kläger für die Zeit vom 01. Dezember 2005 bis zum 15. Oktober 2006 Kopien der Fahrtenschreiberdiagramme auszuhändigen. Den weiteren mit der Klageerweiterung des Klägers vom 23. April 2007 geltend gemachten Antrag hat das Arbeitsgericht abgewiesen.

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Gegen diese Entscheidung haben beide Parteien innerhalb der in der Sitzungsniederschrift der Berufungsverhandlung vom 19. März 2008 festgestellten und dort ersichtlichen Fristen Berufung eingelegt. Der Kläger verfolgt mit seiner Berufung den abgewiesenen Klageantrag aus dem Klageerweiterungsschriftsatz vom 23. April 2007 weiter. Er meint, das Arbeitsgericht habe verkannt, dass er nicht Auskunft über die jeweilige Arbeitszeit, sondern Auskunft über die belieferten Firmen und Personen begehre. Diese Auskunft benötige er zur Beweisführung durch Benennung der belieferten Zeugen. Die Beklagte verfolgt ihren Anspruch auf Klageabweisung des Klageantrags aus der Klageerweiterung vom 23. April 2007 auf Herausgabe von Kopien der Fahrtenschreibendiagramme fort. Sie meint, das Arbeitsgericht habe zu Unrecht unter Berufung auf die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 10. Mai 2005 ( 13 Sa 842/04 -) aus Art. 14 II VO (EWG) Nr. 3821/85 der Klage stattgegeben. Die Beklagte rügt, dass das Arbeitsgericht Sinn und Zweck der Vorschrift der VO (EWG) Nr. 3820/85 bzw. Nr. 3821/85 bei der Entscheidung nicht berücksichtigt habe. Diese Vorschriften würden nämlich der Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen der beteiligten Verkehrsträger sowie der Verbesserung der Sicherheit im Straßenverkehr dienen und nicht arbeitsvertraglichen Zwecken, wie der Vorbereitung einer Vergütungsklage des Arbeitnehmers. Die Beklagte verweist im Übrigen auf ihrer Ansicht nach diese Rechtsmeinung stützende Entscheidungen des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz. Die Parteien treten im Übrigen der jeweiligen Rechtsansicht der Gegenpartei entgegen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvorbringens der Parteien wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Berufungen der Parteien gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Gießen vom 31. Mai 2007 – 1 Ca 99/07 – sind statthaft (§§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1, Abs. 2 b ArbGG), außerdem form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und damit insgesamt zulässig (§§ 66 ArbGG, 517, 520 ZPO). Entgegen der Bezeichnung des Urteils durch das Arbeitsgericht liegt auch kein unanfechtbares Zwischenurteil gem. § 303 ZPO vor. Das Zwischenurteil ergeht nämlich zu Vorfragen, die im Prozess auftreten und geklärt werden müssen, die sich aber nicht unmittelbar auf den Streitgegenstand selbst beziehen. Die Auslegung des Klagebegehrens des Klägers zeigt aber, dass er mit den mit der Klageerweiterung vom 23. April 2007 geltend gemachten Ansprüchen keine Vorfragen in Bezug auf die Streitgegenstände der Klageschriften vom Dezember 2006 verfolgt, sondern wie schon die Bezeichnung des Schriftsatzes als Klageerweiterung zeigt, weitere Streitgegenstände in den Prozess eingeführt hat. Im Weiteren ergibt sich im Wege der Auslegung, dass der Kläger diese mit der Klageerweiterungsschrift vom 23. April 2007 in den Prozess eingeführten Rechtsstreite vorab entschieden haben will, also eine Stufenklage gem. § 254 ZPO beabsichtigt. Das Urteil des Arbeitsgerichts ist daher in der Sache als ein rechtsmittelfähiges Teilurteil gem. § 301 ZPO anzusehen.

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Die Berufungen sind allerdings unbegründet. Dem Kläger steht nach Art. 14 II VO (EWG) Nr. 3821/85 der geltend gemachte Anspruch auf Herausgabe von Kopien der Tachoscheiben für die Zeit vom 01. Dezember 2005 bis 15. Oktober 2006 zu. Das Berufungsgericht schließt sich insoweit der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen mit Urteil vom 10. Mai 2005 (- 13 Sa 842/04NZA-RR 2005, 461, 462) an. Nach Art. 14 Abs. 2 VO (EWG) 3821/85 hat das Unternehmen die Fahrtenschreiberdiagramme ein Jahr lang aufzubewahren und dem Fahrer auf Verlangen Kopien auszuhändigen. Diese Verordnung ist gem. Art. 249 EG-Vertrag unmittelbar zwingend geltendes Recht und gewährt damit dem Kläger den entsprechenden Anspruch. Fahrtenschreibendiagramme dienen zwar in erster Linie der Aufzeichnung der Lenkzeit und der Kontrolle der Einhaltung der Lenkzeitvorschriften im Interesse der Harmonisierung der Bedingungen des Wettbewerbs zwischen Land- und Verkehrsunternehmen, insbesondere im Straßenverkehrssektor, sowie der Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der Sicherheit im Straßenverkehr (vgl. Verordnung (EWG) des Rates über die Harmonisierung bestimmter Sozialvorschriften im Straßenverkehr Nr. 3820/85). Es geht dabei aber auch um die Arbeitsbedingungen der betroffenen Arbeitnehmer. Damit ergibt sich ein hinreichender Sachzusammenhang zum vorliegend geltend gemachten Anspruch auf Überstundenvergütung. Fahrtenschreiberdiagramme sind jedenfalls teilweise geeignet, Überstundenansprüche zu substantiieren. Aus Beginn und Ende der Lenkzeit kann auf Beginn und Ende der Arbeitszeit geschlossen werden, aus Lenkzeitunterbrechungen kann auf Pausen geschlossen werden. Es bedarf grundsätzlich für die gerichtliche Geltendmachung auch keines besonderen Rechtsschutzbedürfnisses. Dem Klageanspruch steht deshalb nicht entgegen, dass unter Umständen mit dem Kläger davon auszugehen ist, dass er bereits ohne diese Tachoscheiben den geltend gemachten Überstundenanspruch hinreichend substantiiert dargelegt hat. Für eine rechtsmissbräuchliche Geltendmachung des Anspruchs auf Herausgabe von Kopien der Tachoscheiben sind ebenfalls keine Anhaltspunkte ersichtlich. Die von der Beklagten angezogenen Entscheidungen des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 07.04.2004 ( 10 Sa 2028/03 – ) und vom 29. Juli 2004 (- 6 Sa 246/04 -) stehen dem nicht entgegen. Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz hatte in den angezogenen Entscheidungen nur über Zahlungsklagen auf Überstundenvergütung zu entscheiden. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 07. April 2004 enthält demgemäß keine Auseinandersetzungen zu dem hier geltend gemachten Anspruch aus Art. 14 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 3821/85. Im Urteil vom 29. Juli 2004 setzt sich das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz ebenfalls nur mit der fehlenden Substantiierung der dortigen Zahlungsklage auf Überstundenvergütung auseinander. Auch die zum 01.09.2006 eingetretene Gesetzesänderung des Arbeitszeitgesetzes in § 21 a Abs. 7 steht der hier vertretenen Ansicht nicht entgegen. Der Arbeitgeber wird in dieser Vorschrift ganz allgemein verpflichtet, die Arbeitszeit der Arbeitnehmer aufzuzeichnen und die Aufzeichnungen mindestens 2 Jahre aufzubewahren, sowie dem Arbeitnehmer auf Verlangen eine Kopie der Aufzeichnungen seiner Arbeitszeit auszuhändigen. Dass gemäß den von der Beklagten zitierten Gesetzesmaterialien zu entnehmen ist, dass unter diesen Arbeitszeitaufzeichnungen gem. § 21 a ArbZG auch Tachoscheiben zu verstehen sind, rechtfertigt nicht die Annahme, dass der Gesetzgeber damit dokumentieren wollte, dass Art. 14 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 3821/85 nicht auch diesen Anspruch bereits begründet hat. Auch wenn es einer Transformation von europarechtlichen Verordnungen gem. Art. 249 Abs. 2 EG-Vertrag nicht bedarf, ist es doch sinnvoll, Rechtsansprüche einheitlich in einem nationalen Gesetz zusammenzufügen.

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Der Kläger hat hingegen keinen Anspruch auf den weiter geltend gemachten Auskunftsanspruch auf Benennung der belieferten Firmen und Personen mit genauer Anschrift und Adresse, hilfsweise auf Aushändigung von Kopien der Lieferscheine. Nach der auch vom Kläger zitierten Rechtsprechung (BAG, Urteil vom 21.11.2000 – 9 AZR 665/99BAGE 96, 274 = AP Nr. 35 zu § 242 BGB Auskunftspflicht und BGH, Urteil vom 06.02.2007 – X ZR 117/04NJW 2007, 1806 – 1809) setzt ein Auskunftsanspruch voraus, dass der Anspruchsberechtigte in entschuldbarer Weise über das Bestehen oder den Umfang seines Rechts im Ungewissen ist, und der Verpflichtete in der Lage ist, unschwer zur Beseitigung dieser Ungewissheit erforderliche Auskünfte zu erteilen. Der Kläger ist aber über das Bestehen und den Umfang seines Anspruchs aus Überstundenvergütung nicht im Ungewissen. Der Kläger meint vielmehr, dass ein Überstundenanspruch im Umfang seiner zu den Akten gereichten Aufstellungen (vgl. beispielsweise den Schriftsatz vom 02. Mai 2007, S. 1 – 55, Bl. 372 – 425 d.A.) besteht. Ausweislich des Berufungsbegründungsschriftsatzes des Klägers geht es diesem vielmehr darum, mit der Auskunft an Name und ladungsfähige Anschrift geeigneter Zeugen für seinen Sachvortrag zu kommen. Die Rechtsprechung, die dem Anspruchsberechtigten nach Treu und Glauben einen Auskunftsanspruch zubilligt, wenn die zwischen den Parteien bestehende Rechtsbeziehung es mit sich bringt, dass der Anspruchsberechtigte in entschuldbarer Weise über das Bestehen oder den Umfang seines Rechts im Ungewissen ist, und der Verpflichtete in der Lage ist, unschwer zur Beseitigung dieser Ungewissheit eine erforderliche Auskunft zu erteilen, erstreckt sich nicht darauf, dem Anspruchsberechtigten auch die Mittel einer Beweisführung zugänglich zu machen. Auch sonst ist nicht ersichtlich, dass sich aus anderen Anspruchsgrundlagen, etwa § 809, § 810 BGB, ein Anspruch des Klägers ergibt. Der Kläger hat gegen die Beklagte in Ansehung der Namen und Anschriften der belieferten Firmen und Personen sowie der Lieferscheine keinen Rechtsanspruch (§ 809 BGB). Auch ein Einsichtsrecht nach § 810 BGB kommt nicht in Betracht, weil die Lieferscheine nicht dazu bestimmt sind, für den Kläger als Beweismittel zu dienen oder seine rechtlichen Beziehungen zur Beklagten zu fördern. Maßgebend ist nämlich nicht der Inhalt der Urkunde, sondern der Zweck ihrer Errichtung. In den Lieferscheinen ist auch kein zwischen dem Kläger und der Beklagten bestehendes Rechtsverhältnis beurkundet.

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Die Kosten des Berufungsverfahrens sind gegeneinander aufzuheben, weil beide Parteien in gleichem Umfang unterlegen sind.

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Eine gesetzlich begründete Veranlassung zur Zulassung der Revision besteht nicht.

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